Im Moment sprechen ja alle über den WELT-Gastbeitrag von Alexander Dobrindt („Wir brauchen eine bürgerlich-konservative Wende“). Man kann jetzt einfach das ZDF-Interview mit Marietta Slomka gucken und wird schnell merken, dass Dobrindts Forderungen auf arg dürren Beinchen stehen (und wird den verstörenden Eindruck nicht los, dass Dobrindt selbst gar nicht so genau weiß, was er da geschrieben hat). Da man ja aber gefälligst ab und zu raus soll aus seiner Filterblase, habe ich mir den ganzen Artikel gerade mal selbst durchgelesen. (Ja verdammt, ich habe sogar ein WELTonline Abo dafür abgeschlossen! Keine Angst, es geht mir gut – ist schon wieder gekündigt).
Hier meine Erkenntnisse: (wenn Ihr euch nicht so lange mit Alexander Dobrindt beschäftigen mögt, was ich durchaus verstehen kann, scrollt bitte wenigstens runter und lest meinen letzten Absatz. Danke!)
Es ist so traurig wie überraschungsfrei, aber eigentlich kann man Dobrindts Text auf einen einzigen Nenner bringen: Populismus.
Wie jeder gute Populist, malt Dobrindt erst mal ein ziemlich düsteres Bild von Deutschland. Kurz zusammengefasst: Eine bürgerliche Mehrheit wird hier seit Jahrzehnten von einer linken Elite geknechtet und ideologisch indoktriniert. Das ist ein bisschen lustig, wenn man bedenkt, dass in den letzten 35 Jahren 28 die CSU mitregiert hat. Dass Dobrindt für diese linke Elite ausgerechnet den Prenzlauer Berg anführt, der, wie Marietta Slomka so treffend angemerkt hat, so bürgerlich ist, wie’s nur sein kann (Mach da mal nach 20 Uhr laute Musik auf der Straße!), macht das Ganze noch ein bisschen lustiger.
Im weiteren Text verwebt Dobrindt dann Gemeinplätze und allgemein Akzeptiertes mit hanebüchenem Unsinn. Auch das eine Lektion aus Stunde eins der Populisten-Häschenschule. Man wird hin und her geschüttelt zwischen: „Da hat er eigentlich Recht“ und „Wie kommt er denn jetzt auf diesen Unsinn?“ Da werden Naturschützer mit Islamisten auf eine Stufe gestellt, wird vor Linken gewarnt, die den Deutschen das Fahnenschwenken verbieten wollen und dazwischen ein „Familie ist wichtig“ eingestreut. Dobrindts Text ist wie eine Schachtel Pralinen: Man weiß nie was man kriegt und danach ist einem schlecht.
Mal ein paar Beispiele:
„Der christliche Glaube ist das Fundament unserer Politik“, schreibt Dobrindt, und das ist sein gutes Recht. „Wir stehen für die Bewahrung der Schöpfung“ liest sich schon ein bisschen schwieriger, wenn man bedenkt, dass gerade ein CSU-Minister entgegen aller Abmachungen für die Verlängerung der Glyphosat-Zulassung gestimmt hat, aber okay. Dass selbst die christlichen Kirchen von der CSU-Flüchtlings-Obergrenze nichts halten, sei auch mal vergessen, und auch, dass Dobrindt – wie so viele – sein Bekenntnis zum Christentum eigentlich nur benutzt, um sich von anderen Religionen abzugrenzen. Dass er sich dann aber nicht mal entblödet, die alte AfD-Leier von den Weihnachtsmärkten, die in Wintermärkte umbenannt werden, runterzunudeln, ist schon ein ganz besonders trauriges Stück Dobrindt-Dödelei.
Weiter geht’s: „Unser wichtigstes Kollektiv (…) ist die Familie“. Okay, bin ich dabei. Was dagegen der Satz „Linke wollen diese Welt tendenziell ideologisch in Gender-Welten umdefinieren (…)“ bedeuten soll, muss wohl das Geheimnis von Alexander Dobrindt bleiben. Vielleicht würde es ja helfen, wenn man mal definieren würde, was Familie eigentlich ist? Nur Sie, Ihre Frau und Ihr Sohn, Herr Dobrindt? Oder etwa auch mein Mann und ich? Meine lesbischen Freundinnen und Ihr adoptiertes Kind? Horst Seehofer und seine uneheliche Tochter? Sagen Sie doch mal!
Jetzt wird’s volkstümlich: „Heimat und Vaterland sind Wurzeln unserer Identität“. Mag sein, meiner Identität halt nicht. Ich bin in Deutschland geboren und es gibt viele Dinge, die ich an Deutschland toll finde. Trotzdem weiß ich, dass meine Geburt in diesem Land ein vollkommener Zufall war und ich tue mir schwer damit, auf Zufälle stolz zu sein. Wenn jemand Deutschlandfahnen schwenken will, soll er das machen, ist ja nichts Schlimmes. Wenn Bayern in Lederhosen zum Trachtenverein gehen wollen: Auf geht’s! Glauben Sie mir, ich bin der Letzte, der gegen Männer in Lederhosen protestiert. Nur: Ich mach’s halt nicht. Macht mich das zu einem schlechteren Deutschen? Laut Dobrindt ja, denn: „Patriotismus ist Voraussetzung für Weltoffenheit“. Und da wird’s so richtig hanebüchen. Ich bin letztes Jahr ein halbes Jahr durch Südamerika und Europa gereist und wenn mir dabei irgendwas geholfen hat, dann war’s nicht Patriotismus, sondern die Überzeugung, dass Menschen Menschen sind, egal ob sie aus Chile, Tschechien oder Oberammergau kommen.
Weiter: „Wir sind stolz auf unsere deutsche Kultur“. Hach ja, wenn’s nur so wäre! Wenn jeder, der behauptet, „stolz auf unsere Kultur“ zu sein, auch wirklich etwas für die Kultur täte, indem er zum Beispiel ins Theater ginge, ein Museum besuchen würde oder von mir aus auch nur ein Buch lesen würde, hätten Kulturschaffende in Deutschland viel weniger Probleme.
„Die Identität Europas reicht für uns tiefer als Binnenmärkte und Einheitswährungen.“ Schon wieder: Wenn’s nur so wäre! Gerade bei der CSU hat man ja oft das Gefühl, die Unterstützung für Europa reicht gerade bis zum nächsten Wahlkampf, wenn wieder irgendjemand merkt, dass man mit Brüssel-Schimpferei halt doch mehr Bierzeltfans erreicht, als mit einem Bekenntnis zu Europa. Wenn Ihnen Europa so wichtig ist, Herr Dobrindt, warum lädt die CSU dann Viktor Orbán nach Seeon ein, einen Politiker, der wirklich keine Gelegenheit auslässt, der EU ans Bein zu pinkeln? Oder wollen Sie den Orbán mal so richtig ins Gebet nehmen und zurück auf den Weg der Demokraten bringen? Dann hab’ ich natürlich nichts gesagt!
Es geht immer so weiter mit den Widersprüchlichkeiten und Plattheiten: Dobrindt schafft es sogar, in zwei aufeinanderfolgenden Paragraphen erst „Links-grünen Ideologien“ die Schuld daran zu geben, dass wir alle total unfrei sind und dann einen „starken Staat“ zu fordern – der meiner Ansicht nach selten so richtig gut mit totaler Freiheit vereinbar ist.
Am bemerkenswertesten finde ich aber Dobrindts letzten Satz: „Wir brauchen den Aufbruch in eine neue, konservative Bürgerlichkeit, die unser Land zusammenführt…“.
Tja. Das ist halt ein bisschen, wie wenn man sagen würde: „Herr Nachbar, wir brauchen einen Grenzzaun, der unsere Grundstücke zusammenführt!“
Das ist umso bedauerlicher, als der Rest des Satzes gar nicht so schlecht ist: „… unser Land zusammenführt, unsere Wertegemeinschaft stärkt und unsere Freiheit verteidigt.“ Das alles sind Forderungen, die ich sofort unterstützen würde. Ich finde es wirklich bedenklich, wenn Menschen sich in Deutschland überhaupt nicht mehr verstanden fühlen. Wenn sie sich voller Verachtung abwenden von allem, was mit unserer Demokratie zu tun hat. Egal ob Neonazi oder Islamist. Dagegen sollte man dringend angehen. Nur: dazu braucht man keine bürgerlich-konservative Wende, keine zusätzliche Abgrenzung und vor allem keine populistischen Plattitüden. Man braucht eine neue Debattenkultur. Man braucht die Bereitschaft, mit anderen Menschen zu reden, auch wenn sie andere Meinungen haben, als man selbst. Man muss so unselige Kategorien wie „links“ und „rechts“ überwinden. Man muss anerkennen, dass es Lebensmodelle gibt, die mit dem eigenen nicht identisch sind, deswegen aber noch lange nicht schlechter sein müssen. Man muss Fakten akzeptieren und für Probleme Lösungen finden, die für alle akzeptabel sind. Man muss aufeinander zugehen, miteinander reden, Trennendes überwinden und Gemeinsames suchen. Kurz: man braucht das Gegenteil einer bürgerlich-konservativen Wende.
Schön, dass uns Alexander Dobrindt da noch mal dran erinnert hat.