Es gibt einfach Begriffe, die passen nicht so gut zusammen. „Montag“ und „fröhlich“ zum Beispiel. Oder “BMW-Fahrer“ und „rechte Spur“. Oder „Reinhold Beckmann“ und „singen“.
Seit heute weiß ich, es gibt noch so eine unmögliche Kombination: „Vollkorn“ und „Croissant“.
Vollkorncroissant, ich habe dich heute Morgen auf dem Biomarkt gekauft, mittlerweile ausgepackt und sogar in dich hineingebissen (falls meine vorderen Schneidezähne im Lauf des Tages noch ausfallen, würde ich mich nochmal an dich wenden!), und ich kann jetzt voller Überzeugung sagen: Dich gibt’s eigentlich gar nicht. There ain’t no such thing as Vollkorncroissant! Du bist nämlich kein Croissant, du bist im Grunde ein bizarr geformtes Brot.
Bizarres Brot
Ein Croissant ist etwas, das man morgens im Frankreichurlaub kauft. Da schlüpft man, während der Partner noch schläft, in die Flipflops und die Badeshorts, drückt die Morgenlatte so gut es geht zur Seite, tritt ans Fenster, blinzelt in den strahlend blauen Himmel und dackelt los, zum Boulanger um die Ecke, dann sagt man „Deux croissants, s’il vous plait“ und dackelt wieder zurück, und während die charmante Verkäuferin noch über die doch sehr gut sichtbare Morgenlatte giggelt, hat man schon wieder die Appartementtür erreicht, und die beiden Croissants haben mittlerweile die Papiertüte durchgesuppt, denn wir alle wissen, ein Croissant ist nichts anderes als eine besonders raffinierte Methode, Butter zu verstecken, aber das macht nichts, denn man ist im Urlaub, am Horizont funkelt der Atlantik und der Himmel ist immer noch so blau und dann setzt man die Espressokanne auf, und der Duft des Kaffees weckt den Partner, und dann kriecht man mitsamt dem Kaffee und der mittlerweile durchsichtigen Croissanttüte wieder ins Bett und küsst dem Partner den Schlaf aus dem Gesicht, und dann nippt man am Kaffee und beißt in die Croissants, und danach stellt man die Kaffeetassen ab und verschwindet gemeinsam unter der Bettdecke und hat absurd guten Sex und kann sich danach noch mit dem leicht angefeuchteten Zeigefinger gegenseitig ein paar Gebäckkrümel vom Körper naschen. DAS ist ein Croissant!
Merkste was, Vollkorncroissant? Das alles kann man mit dir gar nicht machen. Schon allein, weil man sich einen Bruch heben würde, wenn man zwei von dir in eine Papiertüte steckt! Durchsuppen würde die Tüte dann auch nicht, denn deine Schichten sind so dick, da kommt gar keine Butter durch. Ein Fett-Alcatraz, das bist du. Wahrscheinlich steckt in dir auch gar keine Butter, sondern laktosefreie Sojamargarine oder einfach nur Wasser. Fett braucht man ja vor allem, um den Geschmack zu verstärken, aber wo nix ist, muss man ja auch nix verstärken. Und jetzt stell dir mal vor, Vollkorncroissant, ich würde dich kaufen, meinen Partner wecken und „Ich hab dir Croissants mitgebracht!“ sagen. Und dann nimmt der dich und du fällst ihm, aufgrund deines unerwarteten Gewichts, aus den Fingern und auf seine Brust, und dann hat er da direkt nen blauen Fleck. Da isses aber ganz schnell vorbei mit absurd gutem Sex!
Thema verfehlt
Wären wir in der Schule und du wärst ein Aufsatz, dann würde die Lehrerin auf dich draufschreiben: „Thema verfehlt!“ Wenn man in ein Croissant beißt, möchte man kurz an die Leichtigkeit des Seins glauben. An eine gewisse Geschmeidigkeit der menschlichen Existenz und dass schon irgendwie immer alles gut ausgehen wird. Wenn man in dich hineinbeißt, Vollkorncroissant, denkt man eher an die Kümmernisse der ausgebeuteten Arbeiterklasse. Ein gebackenes Naturalisten-Drama, das bist du! Hauptmanns „Die Weber“ in Mehl.
Man sollte dem Biomarkt-Zausel im selbstgeklöppelten Feldmauswollpulli rundheraus verbieten, dich „Croissant“ zu nennen. Soll er sich doch was anderes einfallen lassen! „Totgebackener Bio-Bumerang“ vielleicht. Oder „Vollwert-Sichel“. Das klänge dann wenigsten schon so ein bisschen nach DDR und würde somit gleich viel besser zu dir passen: „Frau Schmitt, hamse gehört? Der Bäcker in Pirna macht wieder Vollwert-Sicheln!“ – „Hurra, die steck ich mir immer zwischen Fenster und Rahmen, dann bumst das bei Zugluft nicht so!“
Wer mal so richtig weinen möchte, dem empfehle ich übrigens eine Google-Bildersuche zum Stichwort „Vollkorncroissant“. Was einem da entgegenlümmelt, ist so lustlos und traurig, sowas findet man sonst nur unter dem Stichwort „Ü70 FKK“. Wenn Vollkorn so gesund ist: Warum sehen dann 95 Prozent aller Vollkorncroissants so aus, als hätten sie eine ganz schlimme Krankheit? Eine Beautysalon nimmt doch auch kein Testimonial mit Beulenpest!
Immerhin hat die Bildersuche ergeben: es gibt noch eine entschärfte Variante von dir. Das sind im Grunde ganz normale Croissants, auf die der Bäcker zwei, drei Alibi-Leinsamen draufstreut. Das kaufen dann vermutlich Millionen Menschen und denken sich: „Na sowas! Jetzt hab ich meine Ernährung schon auf Vollwertkost umgestellt und nehm immer noch nicht ab!“ Aber ganz ehrlich, Vollkorncroissant: Verarschen kann ich mich selbst! Wenn ich einen Ramazzotti trinke, steck ich mir ja auch kein Scheibchen Banane ans Glas und sage: „Ist quasi nur ein brauner Smoothie!“
So, ich gehe jetzt noch mal los und kaufe mir ein Croissant. Ein richtiges, leichtes, krümelig-fluffiges – so eine gebackene Schäfchenwolke quasi. Und wenn ich unterwegs am Biomarkt-Zausel vorbeikomme, hoffe ich, er hat einen Helm auf. So ein Bio-Bumerang kann ganz schön wehtun.
(Aus: „Soja-Steak an Vollmondwasser – Das Handbuch der überschätzten Lebensmittel“. Ab jetzt im Handel erhältlich. Oder hier.)