Chia-Samen! Du „Powerkorn der Mayas“, du schwarzkrümelndes Reformhaus-Gold, du hochgehypte Hipster-Hirse, du Silberstreif am Konsumhimmel all jener, denen Quinoa schon zu mainstreamig ist – Ich ziehe meinen Hut vor dir! Die flitzeflinke Geschwindigkeit, mit der du ganze Biomarktregale annektiert und dich in elitäre Ernährungspläne gewanzt hast, die kann einem glatt den Grünkohlsmoothie aus der Hand wirbeln! Das Ganze ist umso erstaunlicher, da deine Verkaufsargumente, Chia, na ich sag’s mal vorsichtig, ein bisschen dünn sind: „Guten Tag, liebe Besserverdiener, mein Name ist Chia-Samen, ich bin unfassbar teuer und schmecke nach nichts. Bitte rühren Sie mich ab jetzt täglich in Ihren lactosefreien Joghurt!“ – „Juhuu! Na klar! Das machen wir!“
Don’t call it Lebensmittel
Vor ein paar Jahren kannte dich noch keine Sau, jetzt bist du überall: im Brot, im Quark, im Knabberkeks – Chia, Respekt, du bist der Elyas M’Barek unter den Lebensmitteln! Verzeihung, „Lebensmittel“ darf man dich ja gar nicht nennen. Ein „Superfood“ bist du, mit Superkräften. Schnallst dir jede Nacht Korn für Korn ein kleines Superhelden-Cape um, bildest dann mit deinen Superfood-Kumpels, den Goji-Beeren, Spirulina-Algen und der Acerola-Kirsche quasi die Reformhaus-Avengers und rettest die Menschheit vor der drohenden Folsäure-Unterversorgung. Denn gesund, das bist du tatsächlich, Chia. Enthältst Thiamin und Kalium und Riboflavin und wenn man dich noch ein bisschen genauer untersuchen würde, fände man bestimmt auch noch Spuren von Kryptonit und mehrfach ungesättigtem Feenstaub. Und wie jeder Superheld bist du ein Meister der Verwandlung: Wenn man dich in Wasser einweicht, bildest du eine Gelschicht um deine kleinen schwarzen Mausdreck-Körner. Das schmeckt dann zwar immer noch nach nichts, aber immerhin nach nichts mit Glibber. Respekt, Chia, und wir dachten bisher immer, Green Lantern wäre der unnützeste Superheld der Welt!
Die volle Kraft deiner Nährstoffe entwickelt sich laut Internet sogar erst „nach einer Einweichzeit von mehreren Stunden“. Ja, genau so schaust du aus, Chia-Samen! Für dich stehe ich nachts um drei auf und weiche dich in gefiltertem Vollmondwasser ein, damit ich morgens was fürs glutenfreie Buchweizenmüsli habe. Am Arsch! Vielleicht bist du aber auch eher was für Leute, die abends schon wissen, was sie am nächsten Nachmittag gerne essen würden! Leute, die sich nach dem 20 Uhr 15-Rosamunde-Pilcher-Film denken: „Ich könnte mir vorstellen, dass ich in sechzehneinhalb Stunden so ein leichtes Hüngerchen auf Dinkelschrot mit Chia-Samen bekomme. Am besten, ich setz das schon mal an!“ Das sind vermutlich dieselben, die vor dem Schlafengehen schon den Frühstückstisch decken, in deren Kalender steht, wann die Bettwäsche gewechselt wird, und die beim Aufziehen der Sommerreifen schon den Termin für die Winterreifen ausmachen! Ein Streber-Korn, das bist du, Chia!
Lecker Kraftsamen
Aber weiter im Internet: „Chia-Samen lassen sich problemlos vier bis fünf Jahre einlagern, ohne ihren Geschmack einzubüßen“. Haha, Geschmack! Da musste selbst ein bisschen kichern, oder, Chia? Styropor-Kügelchen lassen sich nämlich auch vier bis fünf, ach was sag ich, vierzig bis fünfzig Jahre einlagern, ohne ihren Geschmack einzubüßen!
Und dann steht da noch: „Wann probieren auch Sie die Kraftsamen der Maya?“. Uh, „Kraftsamen“? Na, jetzt wird’s aber eklig! Das klingt nicht nach Biofood, das klingt nach Bullenzucht! Wer will denn bitte Maya-Kraftsamen schlucken? Am Ende wächst da in meinem Körper ein kleiner Maya heran, baut mir eine Sonnenpyramide auf die Milz und bricht dann irgendwann so alienmäßig durch die Bauchdecke. Na schönen Dank!
Überhaupt: die Mayas, die Mayas! Kann mir irgendjemand mal erklären, wo dieser Maya-Hype gerade herkommt? Wenn die Kultur der Mayas so schlau und überlegen und fortschrittlich war, könnte man doch schon mal fragen, warum Cancun heutzutage nicht von stolzen Maya-Königen mit imposantem Kopfschmuck beherrscht wird, sondern von besoffenen Amis mit Bierdosenhut!
So crazy wie Leinsamen
Wenn man deine Propaganda-Seiten übrigens mal verlässt, wird’s ganz schnell ganz schön traurig, Chia. Weißt du nämlich, wer fast genau dieselben Wirkstoffe enthält wie du? Genau, dein Superhelden-Nemesis, der Leinsamen. Haha! Leinsamen! Das ungeilste Korn der Welt! Leinsamen, das klingt doch direkt nach alten Damen mit Verdauungsproblemen und Lavendelkissen im Kleiderschrank. Chia-Samen dagegen klingt natürlich nach Friedrichshainer Popup-Cafés in denen ganzkörpertätowierte Fleshtunnelträgerinnen liebevoll Sojamilch-Schaum vom Getreide-Cappuccino streichen. Gut, dafür kostet ein Kilo Leinsamen auch nur ungefähr drei Euro. Eine Kilo von dir, Chia, du Körner-Kaviar, dagegen stolze 20 Euro. Aber das muss man verstehen, da kommt halt noch die Doofen-Steuer oben drauf.
Deine ganze Niedertracht begreift man übrigens erst, wenn man wirklich mal ein Müsli mit dir, Chia-Samen, isst. Dann hängst du dich nämlich zwischen alle Zähne wie frisches Schweinemett, und bleibst da eisern hocken, sodass man den ganzen Tag mit der Zunge herumpiddeln und zwischen Lippen und Zahnreihen einen Unterdruck erzeugen muss, in der Hoffnung, dass der ganze Schlotz mal wieder rausgeht, aber so richtig schafft man’s dann trotzdem nicht und jeder, der einem begegnet, denkt sich: „Du lieber Himmel, dran denken: dem Barth schenken wir zum nächsten Geburtstag mal ne schöne Oral B.“
Ja, Chia, sagen wir’s doch mal wie es ist: Im Grunde bist nichts anderes als ein überteuertes Maya-Mettbrötchen!