Der Bahnstreik läuft, Kunden schäumen, das Internet explodiert – und einzelne GDL-Mitglieder versuchen verzweifelt, die Wogen zu glätten. An manchen Bahnhöfen verteilen sie jetzt Gratiszeitschriften mit dem Titel „Staying at Home – Die besten Ideen für ein Wochenende zu Hause!“. Außerdem arbeitet man mit der ARD an einer Sondersendung: „Die schönsten momentan leider bestreikten Bahnstrecken Deutschlands“. Der Erfolg wird selbst von enthusiastischen Lokführern als „eher so mittel“ eingestuft.

Er hat eine Fassade

Zum Glück wissen wir mittlerweile auch, wer im Alleingang, quasi nur mit der Strahlkraft seines streng gebürsteten Autoritäts-Schnäuzers den gesamten Bahnverkehr zum Erliegen gebracht hat: GDL-Chef Claus „Alle Züge stehen still, wenn’s mein Pornobalken will“ Weselsky.

Danke an dieser Stelle auch an die unermüdlichen Recherche-Monster von Focus online, die heute aufgedeckt haben, dass der gierige Streikboss – jetzt halten Sie sich fest – in einer Wohnung lebt! Und nicht nur das: Die Wohnung hat eine Fassade! Altbau, sogar! Während wir also auf zugigen Bahnsteigen stehen und uns den kalten Novemberwind um die Nase blasen lassen, sitzt der feine Herr Weselsky hinter seiner Fassade, und denkt sich: „Hahaha, friert Ihr nur! Ich dagegen kuschle mich an meine mummelig-warme Altbau-Fassade!“ 
Ein Klingelschild hat er laut Focus auch, sogar mit seinem Namen drauf – eine Dekadenz, die man sonst nur von ukrainischen Ex-Präsidenten kennt.

Langsam machen

Vielleicht ist es dennoch an der Zeit, ein bisschen langsam mit dem Weselsky-Bashing zu machen, denn wer den GDL-Boss heute im ARD-Morgenmagazin gesehen hat, mit hochrotem Kopf und leicht irrem Lachen, der konnte Zeuge des eher seltenen Schauspiels werden, wie einer vom Streiken ein Burnout bekommt.

Und außerdem: gehen bei all der schlechten Laune auf Rotzbremsen-Claus nicht ein paar gute, deutsche Traditionen verloren? Zum Beispiel der Hass auf die Deutsche Bahn? Klar, es ist grade eher schwierig, sich über die Bahn aufzuregen. Ausgefallene Züge können ja leider keine Verspätung haben. Jeder Streiktag verbessert zwangsläufig die Pünktlichkeitsstatistik der Deutschen Bahn. Aber dann muss man halt ein bisschen die Augen aufmachen! Ich will mein Feindbild zurück! 

Sämmeln!

Mich regt zum Beispiel auf, dass die Bahn mich seit Monaten immer wieder per Mail und Infopost dazu auffordert, Bonuspunkte zu sämmeln. Ja, richtig gelesen: „Sämmeln!“. Bahnbonus, das sind nämlich „Punkte für Jäger und Sämmler“. Warum, weiß kein Mensch, aber begleitet wird die Aktion von den Maskottchen Säm und Mel. Das sind zwei knallrote, fusselige Knäuel – rein äußerlich in etwa das, was man nach dem Tragen eines roten Wollpullis abends in seinem Bauchnabel findet. Nur halt mit Glubschaugen. Kurzum: zwei rundum psychodelische Werbefuzzi-Fantasien, die es auf der nach unten offenen Beschissenheits-Skala locker mit dem Sotschi-Schneehasen aufnehmen können. Und die fragen mich jetzt seit Monaten: „Na, sämmeln Sie schon?“. 
Na, kötzen Sie schon? Nein?

Ja dann weiß ich auch nicht mehr. Vielleicht sollten dann die Investigations-Meerschweinchen von Focus online noch mal ran. Ich meine: Säm und Mel – da seh ich doch schon das Klingelschild!